Ehefrau des Verlegers Lambert Schneider | |
*23.06.1903 Berlin. †01.06.2000 Hamburg.
Vater: Wilhelm Theodor Ludwig Schleuning Bauingenieur; Erfinder. *1852 Heidelberg †1914 Magdeburg. Mutter: Marion Schleuning, geb. Rosenplaenter *1867 New York †1947 Uelzen. |
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1903-1923 | Als Kind wächst Marion zusammen mit ihren Brüdern Hans und Wilhelm (Willi) und ihrer Schwester Theodora (Dolla) in Berlin zunächst in großbürgerlichem Milieu auf. Nach dem frühen Tod des Vaters 1914 gerät die Familie jedoch in Armut. Das Familiensilber wird gegen Lebensmittel eingetauscht. Der Mutter fällt die erzwungene Umstellung schwer. Für Marion aber ist der Verkauf des Tafelsilbers und anderer bürgerlicher Lebens-Requisiten, die sie zum Pfandhaus trägt, Befreiung. Während der Bruder Hans eher deutsch-national gesinnt ist, ist den Geschwistern Marion und Willi bereits in jungen Jahren das alte Kaisertum in politischer Hinsicht ebenso wie in seinem plüschigen Stil verhasst. Schon als Kind muss sie mit für den Unterhalt sorgen, für Schule bleibt nur Zeit bis zur ‚Mittleren Reife‘. Gleichwohl ist sie bereits als Jugendliche mit dem avantgardistischen Berliner Kulturleben vertraut, mit dessen Literatur und Theater ebenso wie mit der Musikszene. Englisch und Französisch spricht sie fließend, fast perfekt.
Um der häuslichen Armut zu entrinnen und gleichzeitig die Familie zu unterstützen, schifft sie sich als gerade 18-Jährige im Sommer 1921 auf der SS Lapland von Antwerpen über Southampton nach Amerika ein (das Dokument ihrer Schiffspassage ist im Bremer Übersee-Museum erhalten). Dort kommt sie zunächst in der Nähe von Baltimore bei der Familie eines fernen Verwandten als Au-Pair-Mädchen unter. Vom Hausherrn belästigt, packt sie bald wieder ihre Koffer, macht sich selbständig und bezieht ein Zimmer in New York. Mit Gelegenheitsjobs wie Putzen und Redaktionsarbeiten verdient sie gerade genug, um bescheiden zu leben und monatlich ein paar Dollar nach Hause zu schicken. Auch erwirbt sie zwei Führerscheine in New York: einen für Ford-Automobile, wie sie später berichtet, und einen für andere Autos! Doch sie fühlt sich einsam in Manhattan, und so kehrt sie nach gut einem Jahr wieder nach Berlin zurück. |
1923-1945 |
In Berlin hält Marion Schleuning engen Kontakt vor allem mit ihrem Musiker-Bruder Willi und ist in das fortschrittliche Kulturleben der Zeit der Weimarer Republik eingebunden; so lernt sie u.a. George Grosz, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky kennen. Sie arbeitet für die Zeitschrift Die Weltbühne und akquiriert Anzeigen bei Verlagen für dieses Blatt. Durch diese Tätigkeit lernt sie den Verleger Lambert Schneider kennen. |
1934 Heirat mit dem Verleger Lambert Schneider.
Marion ist ihrem Mann Stütze und Partnerin, nicht zuletzt in politischer Hinsicht: Jede Form von Mitgliedschaft in Nazi-Organisationen oder auch nur die Nähe zu ihnen ist undenkbar, und die Beziehungen zu den jüdischen und anderen anti-nationalsozialistischen Freunden und Autoren werden von beiden aufrechterhalten. Das Überleben des Verlags in jenen Jahren ist, wie L.S. immer wieder betont hat, wesentlich ihr mitzuverdanken. L.S. und Marion sind durch ihre jüdischen Freunde und ihre Freundschaften mit liberalen Gesinnungsgenossen sowie durch Kontakte zur Berliner Jüdischen Gemeinde wohlinformiert über die Gräuel der Nazis, nicht nur in Deutschland, sondern auch in den von der Wehrmacht eroberten Gebieten. Beide müssen in jenen Jahren ein tapferes und einander ergänzendes Paar gewesen sein. Er enthusiastisch, hoch engagiert für Judentum, Ökumene und freiheitlichen Sozialismus, sie pragmatisch, stets mutig und zu riskantem Helfen bereit. In den Sommermonaten unternehmen die beiden mit Zelt und Zeltanhänger ausgedehnte Reisen nach Italien und Frankreich, zum Teil mit Freunden. |
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1943 Geburt des Sohnes Lambert Adam Schneider. | |
1945-1970 | Gegen Ende des Krieges zieht die Familie von Berlin aufs Land in die Eifel. Marion nimmt Kinder von Verwandten und Freunden in die Familie auf, darunter Bärbel Kleine, Tochter des befreundeten Juristen Heinz Kleine, sowie Franziska Düren. Auch Großmutter „Ija“ (Elise Schneider, geb. Kratz) findet Zuflucht in der Familie. Nach Kriegsende leben die Nichten Waltraut Schleuning und Irmgard Schleuning einige Jahre im Hause Schneider in Heidelberg, später dann Karola Sander, deren alleinstehende Mutter die Schneiders zufällig kennen gelernt haben. Auch sonst hat Marion Schneider damals und später vielen Menschen in Not beigestanden und sie ermutigt, es doch wieder mit dem Leben zu versuchen und etwas Neues zu beginnen – ob nach traumatischen Kriegserfahrungen oder nach einer gescheiterten Liebesbeziehung, einer Abtreibung oder einem missglückten Examen. Sie hat Menschen bei der Hand genommen und gesagt: „Das wird schon, ich kenne so etwas, habe Ähnliches erlebt, und jetzt machen wir das und das…, und ich helfe Dir.“ Das Wort „beherzt“ in all seinen Bedeutungsnuancen ist vielleicht das Adjektiv, das Marion am prägnantesten charakterisiert. Dabei war ihr erzieherisches Regiment bei aller Liebe bisweilen recht streng. Unmittelbar nach dem Kriegsende entfaltet der nach Heidelberg übersiedelteVerlag eine enorme Produktivität (s. Biographie des Verlegers L.S.). Doch Bücher müssen nicht nur produziert, sondern auch verkauft werden. Marion ist es, die mit Elan und Begeisterung über Jahrzehnte diesen Part übernimmt. Als Vertreterin des Verlages reist sie jeweils zwei Monate im Frühjahr und im Herbst mit schwerer Belegexemplar-Tasche kreuz und quer durch Deutschland und besucht die Buchhändler, um sie zum Kauf oft schwer absetzbarer Bücher zu bewegen: eine nicht leichte und oft undankbare Aufgabe. Nicht nur mit Blick auf die Zeit nach Not und Krieg schreibt deshalb L.S. in seinem 1965 erschienenen Verlags-Almanach: „Den größten Dank schulde ich meiner tapferen Frau Marion, damals und heute noch“.
Seit Mitte der 1950er Jahre unternehmen L.S. und Marion im Frühjahr und in den Sommermonaten wieder ausgedehnte Reisen in den Süden: nach Frankreich, Italien und bald auch nach Griechenland – nun mit dem Sohn Lambert. Mitte der 1950er Jahre wendet sich die bis dahin gänzlich atheistische Marion Schneider, angeregt und motiviert von Eugen Biser, einem Autor des Verlages und religiösen Erzieher des Sohnes, dem katholischen Glauben zu und findet darin eine neue spirituelle Heimat. Sie konvertiert zum Katholizismus. Im Laufe der Jahre hat diese enge Affinität zum Christentum wieder nachgelassen. Was geblieben ist, ist eine große Bescheidenheit in Bezug auf das eigene Wissen um Transzendenz. |
1970-1985 |
Nach dem Tod ihres Mannes 1970 lebt Marion weiter in Heidelberg. Auch in dieser Phase nimmt sie sich verwandter und befreundeter Personen an, die sich gerade in einer Krise befinden, lässt sie bei sich wohnen und unterstützt sie durch Zuwendung und Rat, so u.a. in den Jahren 1980/81 ihren Neffen Andreas Kasack. Mehrere Jahre lang nimmt sie Mehmet Alpaslan, das Kind eines Freundes ihrer mittlerweile erwachsenen Pflegetochter Bärbel Schmidt (geb. Kleine), in ihre Obhut. Die Sommerferien verbringt Marion regelmäßig bei ihrem Zieh-Kind Bärbel Schmidt und deren Mann Harald in Istanbul, manchmal auch in Side an der türkischen Südküste. Eine zunehmende Sehschwäche und später auch Schwerhörigkeit beeinträchtigen ihr Leben, das nach dem Verlust ihres Mannes und dem Tod fast aller alten Freunde ohnehin einsamer geworden ist. Doch auch hoch betagt knüpft sie noch neue Freundschaften, so zu der Übersetzerin Dora Fischer-Barnicol, die sie über den Verlag kennen gelernt hat. |
1985-2000 | 1985 zieht Marion Schneider nach Hamburg, um in der Nähe ihres Sohnes Lambert und seiner Familie zu sein. Wiewohl bereits halb erblindet, engagiert sie sich dort für türkische Kinder, die sie regelmäßig nach der Schule bei den Hausaufgaben unterstützt. Ihre letzten acht Jahre verlebt sie in der Familie ihres Sohnes Lambert und seiner Frau Monika. Hör-Kassetten vertreiben ihr, als sie nicht mehr selbst lesen kann, schlecht und recht die Zeit. Doch Dichtung lebt in ihr als ein Schatz weiter und tröstet sie. Viele Gedichte kennt sie auswendig und summt sie oft leise vor sich hin. Manchmal aber will sie sie laut vorgelesen bekommen, so in ihrer Sterbestunde das von ihr besonders geliebte und auf das Sterben bezogene Goethe-Gedicht Wanderers Nachtlied, das auch in der im Verlag L.S. erschienenen Anthologie Deutsche Gedichte der Klassischen Zeit enthalten ist.
Die Grabsteine von Marion Schneider und ihrem Mann Lambert Schneider befinden sich seit 2019 auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg. |